Vor mehr als zwei Monaten am 9. Dezember 2022 stellte die belgische Polizei bei einer Großrazzia 1,5 Millionen Euro Bargeld sicher und verhaftete mehrere Verdächtige, darunter die damalige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili. Seitdem ist die Aufarbeitung des Korruptionsskandals „Qatargate“ – sowohl juristisch als auch politisch – in vollem Gange. Wie konnte es so weit kommen? Benötigt das EU-Parlament strengere Transparenz- und Lobbyregeln? Diese Fragen prägten den ersten Online-Bürgerdialog der Europa-Union Deutschland des Jahres 2023 am 21. Februar.
Zu Beginn ergab ein Meinungsbild unter den vier Mitwirkenden und den Teilnehmenden, dass unter den ersten Reaktionen vor allem Bestürzung und Schock dominierten. Timo Lange führte darüber hinaus aus, dass der Korruptionsskandal vor allem eine Steilvorlage für Europaskeptiker gewesen sei. Allerdings räumte er ein, dass das Europäische Parlament insgesamt gut reagiert hätte – ganz im Gegensatz zum Deutschen Bundestag im Nachgang an das Bekanntwerden der „Maskendeals“. Markus Preiß prognostizierte, dass der Skandal bis zur Europawahl 2024 Nachwirkungen haben werde, während Eva Heidbreder vor allem ihrer Hoffnung Ausdruck verlieh, dass die Transparenz- und Lobbyregeln verschärft würden. Gabriele Bischoff verglich den Korruptionsskandal und seine Auswirkungen für das Europäische Parlament mit einem Erdbeben und konstatierte: „Die Art wie wir arbeiten, wird sich ändern.“ Sie hob vor allem die Einrichtung einer unabhängigen Ethik-Kommission hervor, die nun von einer großen Mehrheit im Parlament befürwortet werden würde. Markus Preiß verlieh daran anknüpfend seiner Verwunderung Ausdruck, dass Eva Kaili im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres „heimlich“, da sie kein Ausschussmitglied gewesen sei, an einer Abstimmung zu Visa-Erleichterungen für Katar teilnehmen konnte. Er räumte jedoch auch ein, dass sich, sofern kriminelle Energie vorhanden sei, Korruption und kriminelle Handlungen nicht gänzlich vermeiden ließen. Timo Lange bestätigte dies und konkretisierte, dass Kontrolle, Aufsicht und Umsetzung geltender Regeln unabdingbar seien, um Regelabweichungen sanktionieren zu können.
Gabriele Bischoff hob noch einmal hervor, dass Transparenz ein elementares Gut für die Demokratie sei und sie verwundert sei, wie viele Europaparlamentarier Neben- und Haupttätigkeiten hätten. Eva Heidbreder betonte ihrerseits, dass das Europäische Parlament bzw. die EU als Ganzes an ihren Gegenmaßnahmen gemessen werde. Die Tatsache, dass der „Realitätsschock“, den „Qatargate“ verursacht habe, zu einer Gegenreaktion geführt hat, zeige, dass der Großteil der Parlamentarier auf die Bürgerinnen und Bürger hören würde. Es spiele folglich eine große Rolle, „wen wir ins Europäische Parlament wählen.“
Timo Lange nutzte die Gelegenheit, um stattdessen ein Verbot für Lobbytätigkeiten von Abgeordneten sowie ein verpflichtendes Lobbyregister, auch für Drittstaaten, zu fordern. Damit konfrontiert hob Gabriele Bischoff die Bedeutung der Einigung auf eine unabhängige Ehtik-Behörde hervor, räumte jedoch ein, dass noch unklar sei, ob über den 14-Punkte-Plan von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hinaus weitere Verschärfungen der Transparenz- und Lobbyregeln möglich seien. Wie auch Gabriele Bischoff zuvor stellte Eva Heidbreder auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft ab: Es sei ihre Aufgabe, insbesondere im Kontext der Europawahl im nächsten Jahr den öffentlichen Druck hochzuhalten und die Themen Transparenz und Lobbying auf der Agenda zu halten.
Angesprochen auf die Abschlussfrage, wie zuversichtlich sie seien, dass ein Skandal wie „Qatargate“ in den EU-Institutionen zukünftig nicht mehr vorkäme, machten sowohl Gabriele Bischoff als auch Eva Heidbreder und Timo Lange deutlich, dass sie optimistisch seien, dass die angekündigten Maßnahmen umgesetzt würden, sodass der nächste Skandal frühzeitiger von Whistleblowern aufgedeckt werden könne.
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Ein breiter und offener Dialog ist uns wichtig, daher arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern aus Politik und Zivilgesellschaft zusammen. Der Online-Bürgerdialog wurde als Teil des Bürgerdialogprojekts „Europa – Wir müssen reden!“ veranstaltet und durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung gefördert. Die Moderation übernahm Pia Schulte, freie Moderatorin.
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